Aachener Stiftung Kathy Beys

Birnbacher / Schicha: Vorsorge statt Nachhaltigkeit. Ethische Grundlagen der Zukunftsverantwortung, 1996

„Inzwischen nimmt die Verwendung des Begriffs der Nachhaltigkeit allerdings inflationäre Züge an. Sogar die Chemieindustrie wirbt inzwischen mit ganzseitigen Anzeigen "für eine neue Qualität des Wachstums" durch "Sustainable Development" und für den Chef von Hoechst ist diese Aufgabe gar ein "Schlüsselthema" seiner Unternehmensstrategie. Das mit dem Nachhaltigkeitspostulat verknüpfte Themenspektrum ist sukzessiv ausgeweitet worden. Neben der Ressourcenschonung werden u.a. soziale Fragen sowie globale Umweltprobleme diskutiert.

Dabei trifft "Nachhaltigkeit" und "sustainability" ein gewisser Anfangsverdacht, als Leerformeln die unübersehbaren Divergenzen in den wirtschaftspolitischen Zielen internationaler Akteure zu überdecken und drohende internationale Verteilungsprobleme schon im Vorfeld rhetorisch abzumildern. (...)

Als politische Leitbegriffe können "Nachhaltigkeit" und "sustainability" insofern dazu dienen, Illusionen über die langfristige Vereinbarkeit von wirtschaftlichem Wachstum, ökologischer Stabilität und globaler Umverteilung (Nord-Süd-Egalisierung) aufrechtzuerhalten und gegen wissenschaftliche Plausibilitäten abzuschirmen. Im Übrigen ist offensichtlich, dass sich die Begrifflichkeit des "nachhaltigen Wachstums" bzw. der "nachhaltigen Entwicklung" der politisch-rhetorischen Manipulation förmlich anbietet: Wer durch die Wahrnehmung von Entwicklungschancen etwas zu gewinnen hat (wie die sogenannten Schwellenländer), wird sich zur Legitimation seiner Politik auf die Wachstums- und Entwicklungskomponente, wer dadurch etwas zu verlieren hat (wie einige Industrieländer), auf die Bestandserhaltungskomponente berufen.“
(...)

Die Autoren vertreten das Prinzip der Vorsorge. Danach sollen die heute lebenden Menschen so handeln, dass es den Folgegenerationen nicht nur nicht schlechter (Nachhaltigkeit), sondern dass es ihnen besser ergeht (Vorsorge):

„Wie könnte die Motivation zur Zukunftsvorsorge dennoch gefördert werden? Wichtig scheint, ein Bewusstsein der eigenen zeitlichen Position in der Kette der Generationen zu entwickeln und ein generationenübergreifendes Gefühl der Gemeinschaft, wenn nicht mit der ganzen Menschheit, so doch mit einer begrenzten kulturellen, nationalen oder regionalen Gruppe auszubilden, um daraus eine Einstellung der Dankbarkeit in rückwärtiger und der Anerkennung von Vorsorgeverpflichtungen in zukünftiger Richtung zu gewinnen.“

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Vorsorge statt Nachhaltigkeit. Ethische Grundlagen der Zukunftsverantwortung

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Letzte Aktualisierung

01.09.2015 12:23

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