Aachener Stiftung Kathy Beys

Verantwortung von Anlegern und Investoren

Kapitaleigner in der Europäischen Union verstoßen eventuell gegen treuhänderische Pflichten, wenn es ihnen misslingt, mit den Unternehmen, in die sie investieren, in Dialog zu treten. Das ergab im Juni 2011 eine umfangreiche Studie mit dem Titel „An Investigation into Stewardship“. Demzufolge ist der Widerstand von Kapitaleigentümern, Firmendialoge (das englisch ausgesprochene "Stakeholder Engagement") als Teil ihrer Verantwortung zu betrachten, sei neben strukturellen Barrieren in der Vermögensverwaltung ein entscheidender Grund für den Mangel an effektiven und konstruktiven Aktionärsdialogen mit Unternehmensvorständen. Das könne gesehen werden als ein Außerkraftsetzen der treuhänderischen Verantwortung. Die Studie schlägt eine Reihe von Lösungen vor, wie Institutionelle mit dieser Aufgabe umgehen können. Sie entstand unter Förderung des European Capital Markets Institute (ECMI) und Mitwirkung von John Mellor, Gründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen Stiftung „Foundation for Governance Research and Education“.

Treuhänderische Pflichten erfüllen

Die Integration von Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekten (Environment, Social, Governance - international kurz ESG genannt) in Anlageentscheidungen ist „kein Luxus mehr, sondern eine rechtliche Notwendigkeit“. Das meinten zuvor bereits 180 Großinvestoren mit zwei Billionen Dollar verwaltetem Vermögen in dem Bericht „Fiduciary Responsibility“ der Finanzinitiative der Vereinten Nationen UNEP FI vom Juli 2009. Investmentberater und Serviceanbieter von institutionellen Anlegern haben demnach die Verpflichtung, öko-soziale Themen in ihre Dienstleistungen zu integrieren. Andernfalls besteht „das sehr reale Risiko, wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht verklagt zu werden“, so der Bericht. Er analysierte nicht nur die rechtliche Situation und praktische Entwicklungen bei „ESG“-Faktoren, sondern zeigt überdies auf, was Vermögensberater und Vermögensverwalter konkret zu tun haben.

Der UNEP FI-Bericht schreibt den internationalen so genannten „Freshfields-Bericht“ von 2005 fort, die die Anwaltkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer im Auftrag der UNEP FI erstellt hatte. Sie machte nach einer Untersuchung der Rechtssituation in mehreren Ländern klar, dass die Missachtung nachhaltiger Aspekte international oft einen Bruch der rechtlichen Pflichten von Institutionellen darstellt. Das hat die Kanzlei seither immer wieder auf Anfrage bekräftigt.

Aufgaben für Vermögensverwalter und Finanzberater

Berater und Asset Manager müssen insbesondere ihre Kunden aktiv darauf ansprechen und verdeutlichen, dass Anlageoptionen mit Integration dieser Aspekte der Standard sein sollten – „selbst wenn Investoren keine ESG-Aspekte bei ihren Ausschreibungen ansprechen“, betonte Rechtsexperte Paul Q. Watchman, der den Bericht vornehmlich schrieb. Die Weltwirtschaft habe den Punkt erreicht, an dem ESG-Faktoren entscheidend seien für die Überlegungen aller Beteiligten. Denn Pensionsfonds, Versicherer, Staatsfonds, Publikumsfonds, Stiftungen und kirchliche Anleger „spielen eine zentrale Rolle dabei, den Übergang zu einer ‚grünen’ Wirtschaft mit niedrigen Emissionen und effizienter Ressourcennutzung zu unterstützen.“

ESG-Themen müssten in die Verträge von Vermögensverwaltern und ihren Kunden sowie die periodische Berichterstattung aufgenommen werden. Die 180 Großanleger erwarten, dass Investoren zunehmend die materielle Bedeutung und Risiken von Umwelt- und Sozialaspekten sowie die enormen langfristigen Kosten einer nicht-nachhaltigen Entwicklung erkennen, auch für ihre eigenen Portfolien. Und sie gehen davon aus, dass die Kapitaleigner dann ihre Vermögensverwalter unter Druck setzen, ESG-Aspekte systematisch in die Aktienanalyse und robuste Investmentstrategien zu integrieren (siehe Mainstreaming). Watchman rechnet überdies für den anglo-amerikanischen Raum mit einer Zunahme von Rechtsfällen.

Risiko gerichtlicher Auseinandersetzungen steigt - Anleger informieren

Im deutschsprachigen Raum kam es bisher (Stand März 2014), soweit bekannt, noch nicht zu rechtlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Berichts- und Beratungspflicht. Die Vorschriften seien zu vage, ein Anspruch auf ESG-Beratung sei, sofern nicht ausdrücklich vertraglich vereinbart, kaum einklagbar, begründet Juliane Hilf, Partnerin bei Freshfields Bruckhaus Deringer. Die §§ 115 Abs. 4 VAG und 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AltZertG sehen weiterhin nur Informationspflichten vor: Versicherern unterliegen diesen, sofern sie ethische, soziale und ökologische Belange berücksichtigen. In der Praxis teilen Versicherer vielfach schlicht mit, dass sie keine ESG-Kriterien berücksichtigen – und umgehen auf diese Weise das Thema.

„Gleichwohl hat das Risiko gerichtlicher Auseinandersetzungen infolge von Klimawandel und Finanzkrise zugenommen, weil das Bewusstsein der Investoren gestiegen ist“, warnt die Juristin Hilf. Zudem ist mit Rechtsänderungen zu rechnen, da in der EU seit Februar 2014 Einigkeit herrscht, dass künftig zumindest die 6000 Unternehmen „des öffentlichen Interesses“, also börsennotierte Untenehmen mit über 500 Beschäftigten, jährlich in ihren Geschäftsberichten über ihre ESG-Risiken und Leistungen berichten müssen. Damit setzt die Politik zumindest teilweise Forderungen von Nichtregierungsorganisationen sowie der UNEP FI um, rechtlich für mehr Transparenz zu ESG-Leistungen bei Investoren, Vermögensverwaltern und Unternehmen zu sorgen.

Auch das Umweltbundesamt (UBA) war 2009 zur Ansicht gelangt, dass insbesondere für das nur mäßig umweltschutzorientiert ausgestaltet deutsche Anlagerecht eine Konkretisierung nötig sei. Investmentfonds etwa haben nur die Pflicht, möglichst hohe Renditen für die Anleger zu erwirtschaften. Darum beauftragte das UBA ein Gutachten beim Öko-Institut e.V. in Darmstadt, das mit ein jähriger Verzögerung im November 2013 erschien unter dem Titel „Umweltschutzorientierte Fortentwicklung des Kapitalanlage- und Investmentrechts". Die Autoren schlagen Verbesserungen für das deutsche, europäische und internationale Kapitalanlagerecht vor, unter anderem die stärkere Berücksichtigung der Umweltbelange bei der Corporate Governance und die Konkretisierung der Pflicht der Finanzintemediäre, über Umweltrisiken zu informieren. Damit soll auch der Investoreneinfluss auf Unternehmen rechtlich gestärkt werden.

Großanleger sind nicht aktiv genug

Abgesehen von rechtlichen Aspekten sprechen auch andere Gründe für die Beachtung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien bei der Titelanalyse und dem Portfoliomanagement. „Die Integration von ESG-Kriterien ist ein Managementansatz, der die langfristige Performance für die Anspruchsberechtigten maximiert.“ Das sagten 84 Prozent von 251 befragten europäischen Investoren aus neun Ländern, die insgesamt 7,5 Billionen Euro Vermögen verwalteten. Es gebe keinen Widerspruch zwischen ESG-Integration und treuhänderischer Verantwortung, hieß es in der Studie „ESG Perception and Integration Practices“ der französischen Research-Agentur Novethic von Ende 2010.

Doch die Umsetzung der Erkenntnis dauert. Die meisten Großanleger sind erst dabei, eine Politik zur Integration von ESG-Aspekten zu entwickeln, ergab eine Nachfolgestudie.Ende 2011. Eine erneute Umfrage ergab Ende 2013 immerhin, dass institutionelle Investoren das Konzept verantwortlichen Investierens besser als früher umsetzen. Novethic befragte 165 langfristig orientierte Investoren (u.a. Pensionsfonds, Versicherer, Pensionskassen) in zwölf Ländern, die mehr als 5000 Milliarden Euro verwaltetes Vermögen repräsentieren. Von ihnen kombinieren demnach 60 Prozent mehrere nachhaltige Anlagestrategien. Durch die Beachtung von ESG-Kriterien wollten sie auf die Emittenten von Aktien oder Anleihen einen stärkeren Druck auszuüben, so die Studie. Das Management von Risiken werde immer mehr zur entscheidenden Motivation, ESG-Aspekte zu beachten. Bereits ein Drittel der Befragten sage, sie hätten eine potenziell „materielle“ Bedeutung für sie.

„Paradoxerweise zeigt die Umfrage aber auch, dass die konkrete Beachtung dieser Aspekte nicht voran kommt“, kritisierte Novethic. Mehrere Strategien des verantwortlichen Investierens seien rückläufig und zwölf Prozent der Antwortenden signalisierten klar, dass nicht geplant sei, sie zu nutzen. Auch die Anlagepolitik bliebe oft abstrakt: Beispielsweise haben erst zehn Prozent der europäischen Großinvestoren Anlagepolitiken für heikle Branchen wie Bergbau, Atomkraft oder Palmöl entwickelt. Außerdem seien die Institutionellen weit davon entfernt, über sämtliche Anlageklassen hinweg verantwortlich zu investieren. „Die große Heterogenität der Ansichten, Motive und Praktiken der Institutionellen in verschiedenen Ländern bleibt ein großes Hindernis für die Verbreitung eines koordinierten und effektiven verantwortlichen Investierens, das die Unternehmen bewegen könnte, mehr für eine nachhaltige Entwicklung zu tun“, resümierte Novethic.

Institutionelle Investoren sollten ihren Standpunkt zu verantwortlichem Investment (RI) allen Anspruchsgruppen formell darlegen. Das forderte die UN-Konferenz zu Handel und Entwicklung (Unctad). Sie analysierte 2010 im „Investment and Enterprise Responsibility Review“ die damals umgerechnet 6,5 Billionen Euro verwalteten oder rund 42 Prozent sämtlichen Pensionskapitals weltweit. Fast die Hälfte der Pensionsfonds, so die Studie, gebe wenigstens einen Indikator bekannt, der auf den UN-Prinzipien für verantwortliches Investieren (PRI) basiere. Doch bei 51 Pensionsfonds mit 39 Prozent dieser Vermögen sei nichts zu finden. Nur 27 Institute veröffentlichten mehr als vier PRI-basierte Indikatoren. Die Politik solle erwägen, die Rechenschaftspflicht der Institutionellen gegenüber ihren Anspruchsberechtigten zu erhöhen wie dies bei Unternehmen geschehe. Regeln könnten von Fonds verlangen, ihr Vorgehen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen bei den Firmen ihres Portfolios zu veröffentlichen, so die Unctad. Die Versicherten sollten sich dazu äußern können.

Pensionsfonds sollten ihre Investmentstrategien überprüfen, um im Rahmen ihrer treuhänderischen Pflichten möglichen systemischen Risiken des Klimawandels zu begegnen sowie Chancen aus Investitionen in emissionsarme Techniken zu nutzen. Dazu forderte ein Bericht der UN-PRI, der UNEP FI und des UN Global Compact bereits im Mai 2009 auf. Noch lässt das auf sich warten.

Dokumente
Novethic-Studie "Les investisseurs institutionnels et les enjeux ESG", Dezember 2013
Research-Agentur Novethic: Nachfolgestudie zu "ESG Perception and Integration Practices", 2011
Studie "An Investigation into Stewardship", 2011
"Investment and Enterprise Responsibility Review", 2010 (UNCTAD)
Bericht "Fiduciary Responsibility", Juli 2009 (UNEP FI)
"Investor leadership on climate change", Mai 2009 (UNEP FI, PRI, Global Compact)
"Freshfields-Report: A legal framework for the integration of environmental, social and governance issues into institutional investment", Oktober 2005

Interne Links
Externe Links
European Capital Markets Institute (ECMI)
Foundation for Governance Research and Education
Finanzinitiative der Vereinten Nationen UNEP FI
Freshfields Bruckhaus Deringer
UN-Konferenz zu Handel und Entwicklung (Unctad)

Schlagworte

Anleger, Investoren, Verantwortung

Letzte Aktualisierung

03.11.2015 10:56

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