Aachener Stiftung Kathy Beys

Wertschöpfungsketten

Ursprünglich beschrieb der Begriff Wertschöpfungskette die Abläufe der Beschaffung und Produktion innerhalb von Unternehmen. Seit einigen Jahren umfasst die Bezeichnung die gesamte Kette von Produktionen und Dienstleistungen für ein Produkt oder ein Unternehmen.

Die Wertschöpfungskette beginnt beim Anbau eines Rohstoffes (z.B. Landwirtschaft) oder Abbau eines Rohstoffes (Bergbau) und reicht über die Weiterverarbeitung und Produktionsstufen bei Zulieferern oder dem Unternehmen selbst sowie über den Handel und Zwischenhandel bis hin zur Nutzungsphase bei Geschäftskunden oder privaten Verbraucher/innen. Der Begriff schließt seit neuestem überdies die Wiederverwendung und/oder Entsorgung abgenutzter Produkte ein, weil diese wiederum Rohstoffe für andere Produkte im selben Unternehmen oder in anderen Unternehmen darstellen. Die Wertschöpfungskette umfasst folglich sämtliche Aspekte des Lebenszyklus eines Produktes.

Wertschöpfungs- vs. Zuliefererkette
Mit dieser großen Reichweite unterscheidet sich die Wertschöpfungskette von der Zuliefererkette, die zwar auch beim Anbau/Abbau von Rohstoffen beginnt, jedoch bei der finalen Produktion im Unternehmen oder dem Verkauf gelieferter Produkte endet. Im Rahmen zunehmend ganzheitlichen Denkens mit dem Ziel geschlossener Rohstoffkreisläufe ist allerdings in Unternehmen beim Management von Zuliefererketten (Supply Chain Management) auch zu beachten, ob und wie Zulieferer bei der Wiederverwertung / erneuten Nutzung oder dem Recycling ausgedienter Produkte mitwirken können, womit sich die Zuliefererkette verlängern und die Aufgaben des diesbezüglichen Managements erweitern.

„Analysiert wird neben der Verteilung der Kosten auch die Macht innerhalb der Wertschöpfungskette“, so das wissenschaftliche Südwind Institut. „Entwicklungspolitisch orientierte Forschungseinrichtungen fragen zudem, wie die Situation der Menschen verbessert werden kann, die in Entwicklungsländern Produkte für den Weltmarkt anbauen oder produzieren.“ Die Arbeitsbedingungen verstoßen oft gegen die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen oder die in den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation verankerten Arbeitsrechte.

Nichtregierungsorganisationen wie Umwelt- und Menschenrechtsgruppen und Wissenschaftler untersuchen zudem die ökologischen Bedingungen, unter denen Rohstoffe an- oder abgebaut und Vorprodukte herstellt werden. Teilweise geschieht dies mit katastrophalen Folgen für die ökologischen Zustände vor Ort sowie die Trinkwasser- und Nahrungsmittelversorgung und / oder die Gesundheit der lokalen Bevölkerungen. Diesbezügliche Tücken liegen in der gesamten Wertschöpfungskette – von der Rohstoffgewinnung über Vorprodukte, Verarbeitung, Handel und Produktnutzung bis zu Recycling oder Wiederverwendung.

Ursachen
Ursachen für ökologische verheerende und / oder menschenverachtende Zustände in vielen Wertschöpfungsketten liegen unter anderem darin, dass Unternehmen im Zuge der Globalisierung seit Jahren Produktion in Billiglohnländer ausgelagert haben. Multinationale Unternehmen üben oft einen derart hohen Preisdruck auf die Zulieferer aus, dass es dort zwangsläufig zu unerträglichen Arbeitsbedingungen kommt. Nur so seien die Konsumbedürfnisse der (nicht mehr nur westlichen) Welt möglichst billig zu bedienen, wird argumentiert. Nichtregierungsorganisationen bestreiten das und belegen, dass Produktionskosten oft nur einen Bruchteil der Gesamtkosten eines Produktes ausmachen, Marketingkosten seien oft um ein Vielfaches höher. Erschwerend kommt bei der internationalen Arbeitsteilung hinzu, dass Zuliefererketten sehr lang und unübersichtlich sind.

Gut ein Drittel der Firmen verpflichtet ihre direkten Zulieferer zu Verhaltenskodizes, ergab im November 2010 eine Umfrage des Bundesverbands Materialwirtschaft und der Roland Berger Strategieberatung. Die Integration mehrerer Lieferstufen sei jedoch Neuland. Das bestätigt auch eine Umfrage des UN Global Compact. Von den führenden Vorstandschefs der Welt erwarten 93 Prozent, dass Nachhaltigkeit ihr Kerngeschäft in den nächsten fünf bis zehn Jahren wesentlich prägen wird, so die Studie „A New Era of Sustainability“ des UN Global Compact (2010). Für ihn befragte Accenture 766 Konzernchefs. Zwar gaben 81 der Befragten an, Nachhaltigkeitsaspekte seien Teil der Firmenstrategie. Doch die Integration der Nachhaltigkeitsstrategie in alle Firmenbereiche steht aus und wird als größte Herausforderung bezeichnet.

Da wartet viel Arbeit für die ökologisch und sozial verantwortliches Management von Wertschöpfungsketten. Denn selbst wenn Unternehmen ihre direkten Zulieferer zur Einhaltung sozialer und ökologischer Standards verpflichten, ist nicht gewährleistet, dass die Sub- und Subzulieferer diese ebenfalls einhalten. Dies zu managen ist eine große Herausforderung für Unternehmen.

Und erst selten bündeln Konkurrenten mit kurzen Lieferketten und kleiner Lieferantenzahl ihre Macht, um gemeinsam einheitliche öko-soziale Standards aufzustellen, ein gemeinsames Kontrollsystem zu entwickeln und den Wettbewerb tatsächlich auf die Produktqualität zu fokussieren, statt über den Preis auf dem Rücken anderer auszutragen.

Auch an dem anderen Ende von Wertschöpfungsketten bestehen bei den heutigen Wirtschaftsmethoden viele beträchtliche und ungelöste Probleme: erhebliche negative externe Effekte von Produkten in ihrer Nutzungsphase auf Umwelt und Gesellschaft, das erst rudimentäre Einsammeln von be-/abgenutzten Produkten, die in den Anfängen steckende Runderneuerung genutzter Produkte zum Wiederverkauf oder die komplette Auswertung der Materialen von Altprodukten zur Einspeisung in Produktionsprozesse. So steht das so genannte „Urban Mining“ erst am Anfang. Hierbei geht es um die Gewinnung von Rohstoffen aus städtischem Müll in viel größeren Dimensionen als wir es heute kennen. Dafür sind von unterschiedlichen Akteuren gemeinsam Methoden zu entwickeln, die in der Stadt befindlichen Rohstoffe zu identifizieren, zu gewinnen und in den Kreislauf wieder zurückzuführen.

Insourcing
Es ist schwierig, komplexe Wertschöpfungsketten auf Verantwortung zu trimmen. Zudem ist absolute Kontrolle angesichts der weltweiten Verflechtungen kaum möglich. Manche sehen darum nur eine Lösung: selber machen. „Insourcing“, die Wiedereingliederung ausgelagerter Prozesse, könnte insbesondere bei langen Lieferketten die Nachteile des Kontrollverlustes beenden, die laut Experten schwerer wiegen können als niedrige Einkaufspreise. Unternehmen sind aber in der Regel nach den jahrelangen Auslagerungen von Produktionen in Billiglohnländer nicht zum „Insourcing“ bereit.

Standards und Kontrollsysteme
Eine zweite Lösung heißt: Marktmacht bündeln. Mächtige Konzerne mit starken Marken, die oft viele Zulieferer mit Wettbewerbern teilt, könnten gemeinsam einheitliche öko-soziale Standards und ein Kontrollsystem etablieren. Dann würde die Konkurrenz auf der Produktqualität basieren und nicht auf dem Rücken von Menschen ausgetragen. Nur einige wenige Vorreiter wagen sich daran.

Einer der entscheidenden Gründe für die Untätigkeit ist, dass gesellschaftliche Kosten „externalisiert“ werden, also nicht von Unternehmen gezahlt werden müssen und sie darum auch keine umfassenden Lebenszykluskostenanalysen macht müssen. Eine weitere Hürde ist, dass zum öko-sozial verantwortliches Managen von komplexen Wertschöpfungsketten intensive Kooperationen innerhalb von Branchen, aber auch branchenübergreifend erforderlich sind sowie die Einbindungen von Experten aus Wissenschaft, Regierungs- und Kommunalorganisationen, Nichtregierungsorganisationen, Finanzwirtschaft und andere gesellschaftliche Bereiche.

Europäische Wirtschaft
Auf einem Feld aber scheint sich etwas zu tun: Die europäische Wirtschaft setzt laut einer Umfrage der Managementberatung BearingPoint von Anfang 2012 zunehmend auf ökologisch gestaltete Wertschöpfungsketten. Motive sind insbesondere ökonomischen Gründen. Laut der branchenübergreifenden Studie (4. Supply Chain Monitor) unter 600 europäischen Unternehmen bewerten 70 Prozent der Unternehmen nachhaltiges Handeln in Beschaffung, Produktion und Logistik als ökonomischen Erfolgsfaktor. Mehr als die Hälfte der Befragten sieht dies als Möglichkeit, messbare Gewinne zu erzielen: Gezielte Investitionen brachten für fast jedes zweite Unternehmen bereits in weniger als drei Jahren einen Return on Investment. Interessant ist auch der Wandel der Motive: Werden grüne Wertschöpfungsketten heute zur Imageverbesserung oder aufgrund von Entscheidungen der Geschäftsführung aufgesetzt, waren vor drei Jahren gemäß Bearing-Umfrage von 2008 hauptsächlich gesetzliche Regulierungen Auslöser für ökologische Aktivitäten.

Diese Studie ist allerdings mit zwei Einschränkungen zu beachten. Sie basiert allein auf ökologischen Aspekten der Wertschöpfungskette und vernachlässigt insofern die Wechselwirkungen zwischen Umwelt-, Sozial- und ökonomischen Aspekten innerhalb der verschiedenen Stufen von Wertschöpfungsketten. Zweitens basiert sie auf der Selbsteinschätzung der Unternehmen – zu deren tatsächlichen Leistungen sagt sie nichts aus.

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Letzte Aktualisierung

18.11.2015 10:35

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