Aachener Stiftung Kathy Beys

Bruttoinlandsprodukt und die Kritik daran

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft. Es gibt den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen an, die über einen bestimmten Zeitraum (üblicherweise ein Jahr) innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt werden und dem Konsum, der Investition, der staatlichen Tätigkeit dienen oder exportiert werden. Das Bruttoinlandsprodukt errechnet sich als Summe der Bruttowertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche zuzüglich von Gütersteuern und abzüglich von Gütersubventionen. Die Veränderung des BIP gibt Aufschluss über das Wirtschaftswachstum.

Das Bruttoinlandsprodukt ist in erster Linie ein Produktionsindikator. Es zeigt die wirtschaftliche Leistung eines Landes während eines bestimmten Zeitraums. Das Bruttoinlandsprodukt stellt aber auch die Summe aller Einkommen dar. Wenn wir das BIP durch die Zahl aller BürgerInnen eines Landes teilen, dann kommen wir auf das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, eine Kennziffer, die häufig verwendet wird, um die Einkommen von Staaten zu vergleichen.

Das BIP wurde nicht mit dem Ziel entwickelt, ein Maßstab für das Wohlbefinden oder die gesellschaftliche Wohlfahrt zu sein. Es beleuchtet die Wohlfahrt aus rein monetärer Sicht. Kritik an der Messung des BIPs gibt es aus vielen Gründen. Einige werden hier exemplarisch genannt:

Das BIP erfasst nur Transaktionen, die einen Marktpreis haben, und aggregiert diese unreflektiert. So werden wohlfahrtsmindernde und wohlfahrtsstiftende Nutzen aufsummiert, was zu Informationsverlusten führt. Informelle Wirtschaft und Schattenwirtschaft ebenso wie Freiwilligenarbeit und Familienarbeit werden nicht erfasst, weil sie keinen Marktpreis haben bzw. nicht am Markt gehandelt werden. So wächst das BIP durch einen Wechsel vom informellen zum formellen Sektor (z.B. Bezahlung eines/r KinderbetreuerIn anstatt die Kinder selbst zu beaufsichtigen), auch wenn dadurch dieselbe Tätigkeit ausgeübt wird. Ebenso werden die Qualität und die steigende Komplexität von Produkten und Dienstleistungen nicht berücksichtigt.

Das Bruttoinlandsprodukt kann wenig über die Entwicklung von Natur- und Humankapital aussagen. Bildungs- und Gesundheitsausgaben werden im BIP nur als Konsum und nicht als Investition in Humankapital gewertet. Veränderungen des Naturkapitalstocks durch Umweltverschmutzung oder Ressourcenknappheit werden nicht berücksichtigt. Ausgaben für Aufräumarbeiten nach einem Öltankunfall zählen zum BIP, auch wenn die Natur dadurch einen Schaden erleidet. Kriminalität kann sogar zu einer Steigerung des BIP führen, weil Polizeieinsätze und Besitzschäden zu Ausgaben führen. Ebenso ist das BIP kein geeigneter Indikator zur Beurteilung der Einkommensverteilung. Zwar zeigt es das Durchschnittseinkommen (BIP pro Kopf) einer Nation, jedoch sagt dies nichts über die Verteilung der Einkommen bzw. die Ungleichheit in einer Gesellschaft aus.

Daher gibt es eine breite Zustimmung, dass eine Zunahme des BIP nicht für eine Zunahme an Wohlbefinden steht, weil wesentliche Elemente wie saubere Umwelt, gesellschaftlicher Zusammenhalt oder Zufriedenheit der Menschen nicht erfasst werden. Des Weiteren ist Wirtschaftswachstum bzw. eine Steigerung des BIP keine gute Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit (Klimawandel, demografischer Wandel, Sicherheit, etc.). Die Politik setzt jedoch nach wie vor auf ökonomische Performance, anstatt auf langfristige nachhaltige Entwicklung abzuzielen. In politischen Debatten ist es schwer, Maßnahmen durchzusetzen, die das BIP senken aber Wohlfahrt stiften, weil das derzeitige Wirtschaftssystem auf Wirtschaftswachstum aufbaut (siehe Wachstumstreiber). Gefragt sind vielmehr zusätzliche Indikatoren, die ebenso klar und ansprechend wie das BIP sind, aber andere Dimensionen von Fortschritt – insbesondere umweltbezogene und soziale – messen.


Dokumente
"Wachstum im Wandel" Dossier

Interne Links
Externe Links
Blanchard, O. und G. Illing (2010), Makroökonomie, Pearson Studium, München.
Brümmerhoff, Dieter, Lützel, H. (Hrsg.) (2002). Lexikon der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, 3., völlig überarbeitete Aufl., Oldenbourg, München, Wien.
Mankiw, N. G. (2001). Principles of Economics, Orlando: Harcourt.
Seidl, Irmi, Zahrnt, A. (2010). Argumente für einen Abschied vom Paradigma des Wirtschaftswachstums. In: Seidl, I., Zahrnt, A. (Hrsg.): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. Metropolis Verlag, Marburg.
Stiglitz, J. E., Sen, A., Fitoussi, J.-P. (2010). Mismeasuring Our Lives. Why GDP Doesn't Add Up New Press, New York 2010.

Schlagworte

Bruttoinlandsprodukt

Letzte Aktualisierung

14.10.2015 10:55

Diesen Artikel: