Aachener Stiftung Kathy Beys

Historischer Abriss über die Wachstumsdebatte

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Wirtschaftswachstum zu einem wichtigen Ziel der Industrieländer, etwas später auch für „Entwicklungsländer“. In der Nachkriegszeit wurden Infrastruktur, Wohnungen und Fabriken wieder aufgebaut. Vorherrschend war das „quantitative Wachstumsparadigma“, das auf der Annahme beruht, dass sich wirtschaftliche, soziale und ökologische Probleme durch Wirtschaftswachstum (Anstieg des Bruttoinlandsprodukts) lösen lassen. Gleichzeitig führte Wirtschaftswachstum zu einer Zunahme des Energie- und Ressourcenverbrauchs, der Abfallproduktion und weiterer Eingriffe in natürliche Lebensräume.

Ende der 1950er Jahre begann die gesellschaftliche Thematisierung dieser negativen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums, auch wenn der Wachstumsglaube ungebrochen blieb. Der Österreicher Leopold Kohr war ein Pionier der sozialen Wachstumskritik. In seinem 1957 erschienenen Buch „Das Ende der Großen“ schreibt er, dass die reichen Volkswirtschaften des Westens den kritischen Punkt der „Über-Größe“ in den 1950er Jahren erreicht haben. Eine Ausweitung über diese Größe verursacht einen Rückgang im Lebensstandard. Er führt als Beispiele die Abnahme der Produktlebensdauer und die geringere Wertschätzung materieller Güter wegen des großen Angebots an. 1962 zeigte Rachel Carson in ihrem Buch „Silent Spring“ die Auswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt.

Populär wurde die Wachstumskritik in den 1970er Jahren mit dem „Club-of-Rome“ Bericht „Grenzen des Wachstums“ (1972), der den Fokus der Wachstumsdebatte auf begrenzte Ressourcen und Umweltverschmutzung legte. Die veröffentlichte Buchversion avancierte zum Bestseller und erreichte, dass sich die Wachstumsdiskussion von ExpertInnenrunden in die Politik und die breite Öffentlichkeit ausweitete. Es folgten die Boomjahre der Wachstumskritik mit dem Paradigma „Grenzen des Wachstums“. Die Kernaussage dieses Paradigmas ist, dass technischer Fortschritt und Innovation und die damit erreichbaren Effizienzsteigerungen nicht ausreichen, um eine absolute Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch bzw. Umweltauswirkungen zu erreichen.

Durch den Ausbruch der Ölkrise um 1974 kehrte eine wirtschaftliche Stagnationsphase ein; die Wachstumskritik verlor vorübergehend an Bedeutung. Das Ende des Kalten Krieges führte zu neuen Absatzmärkten, neuen Impulsen und neuen Möglichkeiten. Osteuropäische Länder übernahmen das westliche Wachstumsparadigma. Die Wachstumsorientierung wurde sowohl in West, als auch Ost durch die wirtschaftliche Globalisierung und der damit einhergehenden Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung verstärkt.

Erneuten Aufwind bekam die Wachstumsdebatte durch das Leitbild der „nachhaltigen Entwicklung“, das von der Brundtlandkommission 1987 und der UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 geprägt wurde. Nachhaltige Entwicklung soll die Zerstörung von Natur beenden, die globale Armut besiegen und ökologische, ökonomische und soziale Ziele harmonisch miteinander vereinen. Eine Strömung der nachhaltigen Entwicklung beruft sich auf das „qualitative Wachstumsparadigma“, das sich bereits in den 1970er Jahren, kurz nach Erscheinen von „Grenzen des Wachstums“, entwickelte. Im Mittelpunkt dieses Paradigmas steht das Thema Entkopplung: Dauerhaftes Wirtschaftswachstum ist nur dann vereinbar mit nachhaltiger Entwicklung, wenn eine absolute Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch (durch technologische Verbesserungen) möglich ist. Dies kann jedoch nicht durch Marktkräfte, sondern nur durch eine strikte Umweltpolitik erreicht werden.

Aus heutiger Perspektive zeigt sich, dass trotz 60 Jahre Wachstumskritik im Konfliktfall Wirtschaftswachstum als politischer Imperativ Vorrang hat. Jedoch gibt es seit den 2000er Jahren, verstärkt durch den Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise um 2008, eine Renaissance der Wachstumsdebatte. Es entstanden politische, wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Ansätze, die Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftskonzept andenken. Sie lassen sich in drei Gruppen unterteilen:
  • Die erste beschreibt Formen der Wirtschaft und Gesellschaft, die auf Wachstum mit neuen Attributen setzen.
  • Die zweite beinhaltet Formen der Wirtschaft und Gesellschaft, die Wachstum als Problem thematisieren und versuchen die Wachstumsabhängigkeit zu verringern.
  • Die dritte Gruppe sind Formen der Wirtschaft und Gesellschaft, die das Wohlbefinden der Menschen ins Zentrum rücken.
Ebenso verdichten sich Initiativen, die sich für eine alternative Messung von Fortschritt einsetzen und alternative Indikatoren zum BIP entwerfen (Neue Formen der Messung von Wohlstand und Fortschritt).


Dokumente
"Wachstum im Wandel" Dossier

Interne Links
Externe Links
Seidl, I., Zahrnt, A. (2010): Argumente für einen Abschied vom Paradigma des Wirtschaftswachstums. In: Seidl, I., Zahrnt, A. (Hrsg.): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft. Metropolis Verlag, Marburg.
Steurer, R. (2010): Die Wachstumskontroverse als Endlosschleife. Themen und Paradigmen im Rückblick.
Trattnigg, Rita (2012): The growth debate, revisited. In: Hinterberger, F., Pirgmaier, E., Freytag, E., Schuster, M. (Hrsg.): growth in transition. Earthscan, New York.

Schlagworte

Wachstum

Letzte Aktualisierung

30.09.2015 09:15

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